Du bist ja schon wie eine Oma.
Du verhältst dich wie eine alte Frau.
Gesagt, als wäre das ein Vorwurf. Als sollte es mich treffen, verletzen – oder zumindest abwerten. „Oma“ als Synonym für langweilig. Für „nicht mehr ganz dabei“. Als müsste ich mich plötzlich schlecht fühlen, als wäre es mir gar nicht bewusst, wie ich lebe und wer ich bin.
Wie eine Omi also – weil ich Ruhe in meinem Leben bevorzuge?
Weil ich nicht mehr feiern gehe, nicht mehr auf langen Nächten durch dunkle Clubs unterwegs bin? Lärm, Alkohol, Gedränge – das alles kenne ich gut. Ich war lange genug mittendrin. Von einer Party zur nächsten, fast auf der Jagd nach Adrenalin – oder vielleicht eher: auf der Flucht vor der Stille.
Ein hoher Puls und ein Tinnitus im Ohr.
Versteht mich nicht falsch – das hier soll keine umgedrehte Abwertung werden. Ich war selbst jahrelang die „Partymaus“, immer dabei, immer unterwegs, immer bereit. Nie „Nein“ sagen, nie aus der Reihe tanzen – ironischerweise. Ich wollte schon damals meistens einfach nur zu Hause bleiben. Aber Gruppenzwang ist laut. Und der Wunsch, dazuzugehören, ist manchmal noch lauter.
Ich dachte: Sag besser nichts. Sei lieb. Sei pflegeleicht. Mach es allen recht.
Denn wenn ich „nein“ sage und sie zeigen mir, dass sie gar nicht meine Freunde sind – was dann? Dann bin ich ganz allein, mit mir selbst und meinem „langweiligen Dasein“.
Also schluckt man es runter. Wieder und wieder.
Bis man sich selbst kaum noch wiedererkennt.
Menschenmengen, die mich nervös machen. Lärm, der mich sogar beim Staubsaugen stresst. Und als Höhepunkt: Betrunkene Menschen um mich herum, kein einziger sicherer Hafen in Sicht. Keine Komfortperson. Keine Nähe. Kein Schutz.
Im besten Fall wird man dann auch noch vergessen – das stärkt angeblich den Charakter.
Ich habe oft erzählt, wie es mir geht. Von Angst, von schlaflosen Nächten. Von Panik, die sich im Körper festsetzt wie Blei. Aber wer will das schon hören? Niemand hat gefragt.
Vielleicht habe ich zu viel erwartet. Vielleicht vergessen, dass Freundschaft kein Versprechen ist.
Oder?
Vielleicht war das nie echte Freundschaft.
Ich habe für andere gelebt. Bin nüchtern geblieben, weil jemand fahren musste – aber wehe, ich war müde. Oder wollte früher heim. Keine Chance. Ich war nicht ich, ich war Funktion.
Und wenn ich doch mal mitgetrunken habe? Dann eben ganz oder gar nicht. Nicht nachdenken. Nicht zweifeln. Nicht fühlen.
Letztes Mal was ins Glas bekommen? Dieses Mal besser aufpassen.
Kreislaufprobleme? Gibt’s nicht. Nur zu wenig Alkohol.
Belästigt worden? Ach komm, stell dich nicht so an. Macht doch jeder.
Und mittendrin in diesem absurden Fiebertraum merkte ich wieder:
Irgendwas ist falsch an mir.
Ich habe bestimmt wieder alles falsch gemacht.
Und zack – stehe ich allein da.
Ob in einer fremden Stadt oder ein paar Straßen weiter – allein ist allein.
Aber: Bloß nicht an mich denken. Bloß keine schlechte Freundin sein.
Immer schön aufpassen, dass es allen anderen gut geht. Immer schön funktionstüchtig bleiben.
Ich könnte stundenlang so weiterschreiben. Und vielleicht tue ich das auch.
Aber zurück zum Thema: Das Oma-Sein.
Heute muss ich mich selbst immer wieder daran erinnern:
Ich bin wichtig.
Meine Gefühle zählen.
Ich darf eine Meinung haben. Ich darf spüren, was ich will – und was nicht. Und vor allem: mit wem.
Wenn ich dann allein zu Hause bin, dann ist das okay.
Dann ist das sogar schön. Ich habe Zeit für meine Hobbys. Oder einfach fürs Nichtstun.
Ich habe gelernt, dass ich keine Angst mehr haben muss vor dem Alleinsein.
Ich mag es sogar.
Nicht jeder wird mich verstehen. Nicht jeder wird mich mögen.
Und das ist okay.
Die Menschen, die wirklich zu mir passen, kommen ganz von allein in mein Leben.
Alle, die ich „überreden“ müsste, gehören sowieso nicht zu mir.
Und das tut weh – klar.
Es tut immer weh, zu merken, dass sich Menschen nicht für mich interessieren, sondern nur jemanden brauchen, der verfügbar ist.
Aber heute höre ich früher auf die kleinen Alarmglocken.
Man kann mich nicht mehr klein machen. Nicht mehr einschüchtern. Nicht mehr manipulieren.
Ich liebe es, wie eine Omi zu leben.
Früh aufstehen, mit dem Hund gehen. Kaffee im Garten. Pflanzen beobachten, gießen. Lernen – je nachdem, was gerade ansteht. Trainieren, arbeiten, Hobbys nachgehen. Heute das eine, morgen drei auf einmal. Kochen. Backen. Am Abend auf der Couch liegen und mein Zuhause genießen.
Oder hier sitzen, vor dem PC, und einen Blogpost über mein Leben schreiben – in meinem Tempo. Ohne Schuldgefühl.
Ich gehe raus, wann ich will. Und mit wem ich will.
Und selbst wenn das meistens nur ich bin – dann ist das so.
Die kleine Ines von damals wäre stolz auf mich.
Vielleicht ein bisschen verängstigt – aber stolz.
Und genau das zählt.
Ich bin glücklich, so wie ich bin.
Was für mich bestimmt ist, wird seinen Weg schon zu mir finden.
Ob das jetzt nach Oma klingt oder eher nach Kräuterhexe – sei dahingestellt.
Hauptsache, ich verliere mich nie wieder selbst, nur um anderen zu gefallen.