🪶 Alles hat seine Zeit – Wenn Schreiben triggert, bevor es heilt

Manchmal vergisst man, dass Schreiben mehr mit dem Körper zu tun hat als mit Gedanken.
Dass Worte nicht nur aus dem Kopf fließen, sondern durch das Herz, die Haut, die Hände.

Ich dachte immer, Schreiben sei Befreiung –
leicht, heilend, fast wie ein tiefes Ausatmen.
Doch manchmal rauscht sie durch einen hindurch,
wie ein Sturm, der alles aufwirbelt,
und man spürt mit jeder Zeile,
dass Befreiung nicht immer leise ist – aber immer wahr.

Vielleicht liegt genau darin ihre Schönheit.

Wiedermal Sonntag. Wiedermal zurück mit etwas, das einem keiner sagt, bevor man anfängt, ein Buch – oder auch nur einen Text – über sein eigenes Leben zu schreiben.

Um ehrlich zu sein, saß ich heute bereits einmal am PC.
Ich fing an einen Text zu schreiben:
zuerst den Rohtext, dann wie immer der Rechtschreib-Check, anschließend der Feinschliff – Routine.
Und plötzlich ging es los.

Schon während des Schreibens merkte ich, dass ich völlig durch den Wind war.
Kein roter Faden, keine Struktur, als würde ich mit nur einem Auge sehen.
Fast so, als hätte ich mich einmal zu oft im Kreis gedreht und der Schwindel würde mich nun umwerfen.

Erst ignorierte ich es, doch dann kam der Druck im Kopf, das leise Ringen in den Ohren, das Schwindel-Kreislauf-Kollaps-Gefühl.
Und bevor jemand fragt: Ja, ich hatte genug getrunken, genug gegessen, war an der frischen Luft
– sogar mit Brille, vorbildlich wie immer.

Trotzdem blieb ich stur, wie ich es oft bin, wenn es um meine Kunst geht.
Ich wollte diesen Text fertigstellen. Doch je öfter ich ihn überarbeitete, desto frustrierter wurde ich.
Mir wurde heiß, meine Emotionen sprangen im Minutentakt, und meine Fingerspitzen fühlten sich an, als würden tausend kleine Ameisen darüber laufen.
Eine Panikattacke am helllichten Tag – ohne Vorwarnung, ohne offensichtlichen Grund.

„Das bildest du dir doch ein“, dachte ich.
Aber am Ende, als ich mir meinen Text durchlas und ihn einfach nur noch doof fand, begriff ich langsam, was da gerade geschah.

Ich speicherte den Text, legte den Computer zur Seite und entfernte mich komplett davon.
Ich tat andere Dinge, ließ den Puls ruhiger werden. Mein Nervensystem fuhr langsam herunter, mein Gemüt wurde wieder klar.

Und genau hier möchte ich heute die Aufmerksamkeit hinlenken:
auf das, was es wirklich heißt, seine Geschichte niederzuschreiben – und sie mit der Welt zu teilen.

Denn das Schreiben ist nicht nur Inspiration oder Selbstreflexion.
Es heißt auch, an Orte zurückzukehren, die nicht schön waren.
Erinnerungen zu durchleben, die Spuren hinterlassen haben.
Menschen im Kopf wiederzutreffen, die Ängste und Traumata in mir verankert haben.
Manchmal heißt Schreiben, die dunkelsten Momente seines Lebens noch einmal zu fühlen – nur durch Worte statt durch Taten.

Kein Wunder also, dass mein Körper die Notbremse zieht.
Er glaubt, er müsse mich wieder beschützen.
Er kann nicht unterscheiden zwischen Erinnerung und Gegenwart.
Ein stilles S.O.S. an meinen Verstand.

Doch selbst in diesem scheinbar trostlosen Garten der Angst will ich neue Blumen pflanzen –
und daraus einen Ort schaffen, der die Dunkelheit zum Leuchten bringt.
All das Wasser, das mich einst ertränken sollte, hat mich schwimmen gelehrt.
Aus all den Steinen und Stöcken habe ich mir ein kleines Hexenhäuschen gebaut –
einen Ort ohne Terror, ohne Gewalt, ohne Angst vor dem Ersticken.

Stück für Stück habe ich mir Freiheit gebaut und Frieden gebastelt.
Hier, in diesem neuen Zuhause in mir, darf alles sein, auch die alten Geister der Vergangenheit.
Denn sie gehören zu mir –
nicht, weil ich sie gewählt habe,
sondern weil sie Teil meiner Geschichte sind.

Die Echos meiner Vergangenheit wollen nur gehört werden – das weiß ich inzwischen.
Ich bin bereit, sie an die Hand zu nehmen, mit ihnen abzuschließen und neu anzufangen.

Heute habe ich zum ersten Mal erlebt, wie Schreiben selbst ein Trigger sein kann.
In Zukunft wird das vielleicht öfter passieren – und das ist okay.
Ich werde es nicht immer so ruhig auffangen können wie heute,
aber das gehört dazu. Nur so kann ich lernen.

Ich weiß jetzt, was auf mich zukommt,
und ich weiß, dass ich mir einen Anker suchen werde, der mich jedes Mal zurückholt.
Denn auch die Dämonen meiner Vergangenheit sind nur Schafe im Wolfspelz –
sie wollen letztlich dasselbe wie ich: gehört und geliebt werden.

Niemand hat gesagt, dass es einfach wird.
Und ich hätte es auch nie anders gewollt.

Ein kleiner Schritt für meine Leser.
Ein großer Schritt für mich.

Vielleicht ist das der Preis dafür, ehrlich zu schreiben:
dass man dabei nicht nur Wörter findet, sondern sich selbst.
Und vielleicht ist genau das der Anfang von allem, was noch kommen darf.

Ich weiß jetzt, dass auch das Schreiben seine Jahreszeiten hat.
Heute war Winter.
Aber irgendwo zwischen den Zeilen wachsen schon wieder die ersten Frühblüher.

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